Pflanzenwelt und Biotopstrukturen im Deponiegelände Dyckerhoffbruch

Exkursion mit Berthold Hilgendorf, Diplom-Geograph, am Samstag, 20. Mai 2023

Ein Gelände so groß wie 140 Fußballfelder, etwa 1 km², das ist das Deponiegelände Dyckerhoffbruch Wiesbaden. Es umfasst mehrere Deponieabschnitte, von denen die ersten bereits rekultiviert sind. Weitere sind noch in Betrieb oder in Planung. Außerdem gehören Ausgleichsflächen dazu. (Weitere Infos dazu unter https://www.elw.de/deponie). Im Bereich des ehemaligen Dyckerhoff-Steinbruchs schließen sich dann noch weitere Flächen des ehemaligen Steinbruchbetriebs, einer Recyclinganlage mit umliegenden Ausgleichsflächen und eines noch in Betrieb befindlichen Sandabbaus an. Insgesamt ist dies ein Komplex von mehr als 2 km², der neben den Betriebsflächen auch zahlreiche Biotopstrukturen auf einer Vielzahl unterschiedlicher Standortbedingungen beherbergt.


Einen Ausschnitt aus der vorhandenen Vielfalt zeigte Dipl.-Geograf Berthold Hilgendorf am Samstag, 20. Mai, bei einer botanischen Exkursion rund 25 interessierten Bürgern. Herr Hilgendorf kennt das Gelände aus seiner beruflichen Tätigkeit als Gutachter und Planer seit vielen Jahren. Die Begehung führte zunächst auf die Kuppe des rekultivierten Deponieabschnitts I, wo  von 1964-1982 Hausmüll abgelagert wurde. Im unteren Teil wird der Hügel überwiegend von Gehölzen geprägt, so z.B. von Vogelkirschen, Eichen, Ahornen, Linden und Robinien, wobei insbesondere die Robinien durch ihr intensives Wurzelwerk auch zur Hangstabilisierung dienten. Zwischen den Bäumen gibt es Lichtungen mit Gebüschflächen, u.a. Rosen und Holunder. Die oberen Teile des Hügels und die Kuppe sind demgegenüber gehölzfrei, was unter anderem auch damit in Zusammenhang steht, dass die Fläche im Einflugbereich des Erbenheimer Flughafens liegt und deshalb Höhenbegrenzungen einzuhalten sind.Herr Hilgendorf erläuterte, dass es sich bei dem Hügel um eine technische Einrichtung handelt, bei der die Unterhaltung und Überwachung der Ablagerungen im Vordergrund steht. Dies war auch an den zahlreichen Deponiegasbrunnen, Leitungen und Gräben deutlich erkennbar.


Foto: Berthold Hilgendorf (3.v.links) führt eine Gruppe Interessierter über das Deponiegelände


Problem Pflege durch Beweidung

Die Offenhaltung und Pflege der ursprünglich mit Landschaftsrasen eingesäten Freiflächen erfolgt durch das zeitweilige Koppeln und Abweiden mit einer Schafherde. Hier erläuterte der Exkursionsleiter, dass dies hier wie in vielen anderen Biotopen nicht unbedingt mit einer großen Pflanzen-Artenvielfalt, sondern nicht selten mit einer Artenverarmung einhergeht. Durch den selektiven Fraß der Tiere werden schmackhafte Pflanzen oft bis zur Vernichtung verbissen, während sich die weniger schmackhaften dominant ausbreiten. Dazu kommen Tritt- und Kotbelastung vor allem unter den Schatten spendenden Gehölzen. So gibt es viele Flächen, die nur noch von Arten wie der einjährigen Mäusegerste geprägt werden, die in großen Beständen zu sehen war. Es gibt allerdings auch ökologische Nischen, wo sich über die angesäten und gepflanzten Kräuter und Gehölze hinaus verschiedene Freilandarten angesiedelt und ausgebreitet haben. Ein Beispiel sind Königskerzen (hier die Flockige Königskerze, Verbascum pulverulentum), die in verschiedenen Wegrandbereichen aufgekommen sind. An einer Gruppe dieser Art waren die Raupen des Königskerzen-Mönchs (ein Nachtschmetterling) zu beobachten, die an den Blättern und Trieben der Pflanzen fraßen.


Als bemerkenswerte Pflanzenart konnte in weniger stark beweideten Grünlandpartien ein größerer Bestand der Ackerröte (Sherardia arvensis) gesehen werden. Diese kleine und konkurrenzschwache Art hatte früher ihren Verbreitungsschwerpunkt in Äckern, wo sie heute aufgrund der intensiven Bewirtschaftung kaum noch vorkommt. Heute findet man sie zunehmend in extensiven Rasenflächen, im lückigen Magergrünland oder auf schwach bewachsenen Erd- und Graswegen. Aufgrund der erlittenen Rückgänge wird die Art in der Roten Liste Hessen als Art der Vorwarnstufe geführt. Die aktuelle massenhafte Ausbreitung, die 2023 auch in vielen anderen Landschaftsteilen zu beobachten war, dürfte durch die Dürre des Sommers 2022 begünstigt worden sein.


Foto: Ackerröte (Sherardia arvensis)

Vielfalt an Biotopen auf dem Deponiegelände

Herr Hilgendorf erläuterte, dass bei künftigen Rekultivierungsmaßnahmen die Neuanlage von nährstoffarmen Offenlandbiotopen im Vordergrund steht, da diese in unserer Landschaft zu Mangelbiotopen geworden sind. Sie bieten einer Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum, die in der “Normallandschaft” zunehmend seltener werden oder sogar schon weitgehend verdrängt worden sind. Von der Kuppe des Hügels mit weitem Blick in die Umgebung führte der Weg hinab zur ehemaligen Steinbruchsohle, wo vor vielen Jahren Abraummaterial des ehemaligen Steinbruchbetriebs abgelagert wurde. Dort haben sich zum Teil ausgedehnte Pionierwaldflächen entwickelt, in denen Pioniergehölze wie Birken, Pappeln oder Weiden dominieren. Im Unterwuchs und in Randbereichen findet sich häufig noch Sanddorn (Hippophae rhamnoides), der in den ersten Jahren der Vegetationsentwicklung dominierte. Unter den Pionierbaumarten ergibt sich ein relativ lichtes Bestandsklima, sodass sich im Gegensatz zu geschlossenen Hochwäldern eine mehr oder weniger gut entwickelte Krautschicht ausbilden kann. In einigen Bereichen kommen sogar Orchideenarten vor, u.a. das sehr seltene Helm-Knabenkraut (Orchis militaris).


Foto: Vom Deponiehügel aus hat man einen weiten Blick über Wiesbaden

Auwaldartige Bereiche und Ausgleichsbiotope

Das im Umfeld anfallende Oberflächen- und Grundwasser wird über ein Grabensystem zum tiefsten Punkt der alten Steinbruchsohle abgeleitet, von wo aus es bei zu hohem Wasserstand in Richtung Rhein abgepumpt wird. Die Gräben führen unterschiedlich viel und unterschiedlich lange Wasser, sodass sich dort unterschiedliche Vegetationsentwicklungen ergeben haben. Die Exkursion führte entlang von einem Schilfgraben, wo an einer lückigen Stelle des Schilfes auf schlammigem Untergrund auch ein Bestand des Gift-Hahnenfußes (Ranunculus sceleratus) zu sehen war. Auch diese Art ist in unserer Normallandschaft mangels vergleichbarer Standorte nicht mehr häufig anzutreffen. Auch wenn dies mit natürlichen Auwäldern nichts zu tun hat, ergibt sich in Teilen dieser Pionierwaldflächen ein fast auwaldartiger Charakter.


Von den Pionierwaldflächen führte die Exkursion über vorhandene Haupt- und Betriebswege an alten Steinbruchhalden und Rekultivierungsflächen vorbei zu einer naturschutzrechtlichen Ausgleichsfläche. Auf früherem Betriebsgelände wurden dort auf großer Fläche sandige Substrate aufgebracht und mit artenreichen Grünlandmischungen aus Regio-Saatgut eingesät. Auf diesen Flächen wurden zahlreiche Habitatstrukturen für Zauneidechsen und Kreuzkröten angelegt, deren Lebensräume an anderer Stelle des geplanten Deponieausbaus entfallen. Dies sind einerseits aus blockigem Steinmaterial, Altholz und Sand angelegte Hügel und andererseits mit Folie abgedichtete flache Tümpel, wo das Wasser nach Regenfällen für längere Zeit erhalten bleibt. Dies erfüllt die besonderen Ansprüche der Kreuzkröte an ihr Laichhabitat, die in tieferen dauerhaft wassergefüllten Teichen ebenso wenig ablaicht wie in Fließgewässern. Herr Hilgendorf erläuterte, dass diese artenschutzrechtlich bedingten Ausgleichsmaßnahmen bereits dann funktionieren müssen, wenn in die bisherigen Lebensstätten eingegriffen wird. Im Fall der Kreuzkröte ist es so, dass die hier neu entstandenen Laichhabitate die vorher im gesamten Deponie- und Steinbruchgelände vorhandenen in Zahl und Funktionsfähigkeit deutlich übersteigen. Der Reproduktionserfolg konnte auch bei der Exkursion durch die Sichtung von Kaulquappen bestätigt werden.

Wertvolles Wildbienenbiotop

Der Rückweg führte parallel zur alten Steinbruchkante zurück zum Eingangsbereich der Deponie. Deponieseitig war der Hügel der Deponieabschnitte II und III mit unterschiedlichen Bewuchsstadien zu sehen. Die randliche alte Steinbruchwand ist in unterschiedlicher Dichte und Verteilung mit Gehölzen und zum Teil schütteren Krautstadien bewachsen, die mit offenen Gesteinspartien und im oberen Teil auch mit einzelnen Lösswänden wechseln. Diese unterschiedlichen Vegetationsstadien im Wechsel mit Offenböden bilden u.a. auch wertvolle Habitate für Wildbienen, von denen bei einer Untersuchung mehr als 50 Arten festgestellt wurden. Darunter waren auch eine Art, die in Hessen bisher nur hier gefunden wurde und eine weitere, die für Hessen bislang als verschollen oder ausgestorben galt.


Vogelarten wie Schwarzer Milan, Dohle, Krähe, Storch, Nachtigall und Kuckuck konnten von den Exkursionsteilnehmern auf dem Rundgang beobachtet oder gehört werden.


Foto: Steilwand mit offenen Gesteinspartien und im oberen Teil auch mit einzelnen Lösswänden (Foto: B. Hilgendorf)